Bei formalen künstlerischen Untersuchungen – also der reinen Mathematik der Kunst – kommen umgekehrt mitunter Ergebnisse zur Präsentation die sehr hermetisch sind.
Die Lichtskulpturen von Flavin sind hier vielleicht zu nennen.

◄ Dan Flavin „Untitled“
© Dan Flavin – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=103117225
Ein anderes Beispiel sind kommunikationstheoretische Kunstwerke, die strikt nicht mehr Information verwenden, als ein Mensch in 8 Sekunden (das ist die durchschnittliche Betrachtungs- /Verweildauer vor einem Kunstwerk im Museum) aufnehmen kann.

◄ Roy Lichtenstein, Kiss V (1964)
© Myosotis alpestre, CC BY-SA 4.0 , Wikimedia Commons
Wenn man ein wenig von den extremen Positionen abrückt öffnet sich ein unüberschaubar riesiges Feld an möglichen Ansätzen und Gegenständen der Betrachtung und der Artikulation. Das meiste davon interessiert allerdings kaum jemanden. Sehr tragisch, aber faktisch.
Von der Abstraktion und der Konkretion
Jede Darstellung von Inhalten aus der physikalischen Welt ist zwingend eine Abstraktion.
Der Grad der Abstraktion formt den entscheidenden Unterschied.
Natürlich ist auch ein Foto und in der körperlichen Abbildung ein „Body-Scan“ (so heißt das auf Neudeutsch) eine Abstraktion weil spätestens an der Auflösungsgrenze die Verallgemeinerung beginnt.
Jedes Bild ist per se eine Abstraktion, weil ja nun die Rückseite fehlt.
In den bildenden Künsten bezeichnet der Begriff Abstraktion eine willentliche Vereinfachung bzw. Verallgemeinerung die das Wesentliche der gewünschten Darstellung zeigt und den Rest überspielt.
Hierbei ist das Werkzeug von entscheidender Bedeutung: eine Malerquaste kann keine Kleinststruktur zeigen.
Neben dem Werkzeug ist das Arbeitsmaterial Teil der abstrahierenden Entscheidung: Ein Stahlband kann keine Detaillierung unterhalb des materialeigenen Verformungsradius zeigen.
Die Auflösung einer Figur in Kuben ist eine Abstraktion, die auf der intellektuellen Entscheidung des Machers beruht. Dies geschieht in der Absicht Dinge sichtbar zu machen die am realen Objekt nicht in den Vordergrund treten.
An diesem Punkt beginnt nun das eigentlich wichtige Ereignis der künstlerischen Auseinandersetzung: Das Ergebnis dieser Abstraktion folgt anderen Gesetzen, als denen des Objektes, das den Ausgangspunkt der Abstraktion darstellt. Im weitesten Sinn ist dieser Vorgang tatsächlich vergleichbar mit der Ableitung in der Mathematik.
Konkret: wird eine Figur abstrahierend in Kuben dargestellt, ändert sich natürlich auch der Schattenwurf und dieser Schattenwurf (in der Mathematik wäre dies eine Ableitung zweiten Grades) bildet eine einfarbige Fläche die als Formgestalt scheinbar völlige Eigenständigkeit hat und auch so behandelt werden muss.
Idealerweise erzeugt die Abstraktion beim Betrachter ein sinnliches und/oder intellektuelles Erlebnis, das bei der vergleichenden, gedanklichen Rückführung des Kunstwerkes auf den realen Gegenstand der Betrachtung entsteht.

Diese erläutende Abbildung wird zitiert aus: https://www.kidsofdada.com/blogs/magazine/16454493-duchamp-the-end-of-art-history
◄ Nude Descending a Staircase no.2 – 1912. Right: Marcel Duchamp emanates his famous painting in LIFE Magazine
Der abstrahierende Vorgang kann und wird selbstredend häufig ohne jeden Sinn und Verstand angewendet. Die Ergebnisse sind dann entsprechend beliebig.